STELLA SOMMER

STELLA SOMMER

STELLA SOMMER

Soll doch erst mal jemand beweisen, dass unsere angebliche Welt die echte ist. Und dass das folkmystische Universum, das Stella Sommer als erfreulich windverwehte Expeditionsleiterin in ihrer Musik bereist und beschreibt, nur auf Platten existiert. Eine Schemenwelt, durch die transparenthäutige Wesen schleichen und wo sich Winterköniginnen an der Kälte wärmen. Stella Sommer geht vor einem her in dieses Möglichkeitsreich. Sie führt uns, sie kennt den Weg gut.

Eine rein eskapistische Fantasyflucht oder verfeete Träumerei liefern Sommers Depeschen auf „Silence Wore a Silver Coat“ allerdings glücklicherweise nicht, denn sie sind universell grandios: Sie singt vom Nebligen und Verschwommenen und stellt dann mit einer einzigen, fast grausam präzisen Zeile wieder scharf, wie in „A Matter of Days“, in dem sie das Elend der Menschheit in zwei Zeilen auf den Punkt bringt: „There’s a hole in the world we’ve all climbed through / Raw, naked, badadvised“.

Stella Sommer, das ist diese Frau, die so zwingend nach Stella Sommer klingt. Nach vier Alben mit ihrer Band Die Heiterkeit und zwei Soloplatten übertrumpft sie sich mit ihren 24 neuen Songs auf „Silence Wore a Silver Coat“ nun selbst. Auch, was das schiere Volumen, die immer dichtere Stimmung ihres sehr eigenen Universums angeht, an dem sie mit diesem Doppelalbum mit vehementer Konsequenz weiterbaut. Wie bei ihren vorherigen Solowerken ist es auch auf ihrem neuen Album ihr glänzender, dunkel changierender Gesang, der vor wildwachsenden Klanglandschaften leuchtet und ihre stimmliche Ausnahmestellung in Deutschland bestätigt.

Immer noch gilt: So hoffnungslos schöne und attitüdelos stolze Popmusik schreibt sonst niemand in diesem Land. Wir hören einmal mehr eine große Songschreiberin und Arrangeurin, die ihre Kunst mit leichter Hand beherrscht, und damit ein gänzlich unangestrengtes, kalkülfreies Meisterwerk schafft. Zum ersten Mal hat Sommer ihr Album mit der ihr eigenen beiläufigen Souveränität auch selbst aufgenommen und produziert, denn warum sollte man das nicht tun, wenn man es kann.

„Northern Dancer“ und „Was Passiert Ist“, ihre beiden jüngsten Werke, solo und als Die Heiterkeit, waren in sich geschlossene, durchkomponierte Alben – dramaturgisch fein konstruiert folgten sie beim Hören wie ein kooperatives Wildpferd am hängenden Führstrick ihrer Erschafferin.

„Silence Wore a Silver Coat“ setzt genau dort an, wo „Northern Dancer“ endete – „The Rain‘s Hair“ ist das erste Stück, das Sommer ursprünglich für „Northern Dancer“ schrieb. Nun löst sie sich aus den spielverderberischen Einschränkungen, die einem limitiert gedachte Albumstrukturen auferlegen können, auch rein räumlich: Es braucht eben mindestens ein Doppelalbum, um Sommers kreative Songwritingkraft zumindest ansatzweise fassen zu können, mit der sie etwa 60 Stücke schrieb, aus denen sie schließlich 24 auswählte. Dabei gibt sie auch störrischeren, abseitigeren Liedern den Raum, den sie verdienen, ohne sich dabei in das größer gefasste Gesamtarrangement einschmiegen zu müssen. In einer Zeit, in der die – angeblich echte – Welt fast täglich unter unerfreulichen Plottwists ächzt und alle Pläne lachhaft werden, müsste allzu ausgezirkelt erzählte Kunst schließlich fast höhnisch wirken.
Sanft, aber unerbittlich verweigert sich Sommer auf „Silence Wore a Silver Coat“ allem, was
plausibel ist: Erzählerisch, wenn ihre lyrics eher Bilder malen als Sätze reihen – „I tried to paint sadness again / But sadness won’t sit still“, heißt es einmal, und natürlich fallen Sommers Gemälde darum nicht naturalistisch, sondern eher williamturner-haft aus.
Auch schnöd-distributionsmäßig verweigert sie sich den patent vorperforierten Stanzereien: Nur die Singles werden auf Streamingdiensten zur Verfügung stehen, das ganze Album hingegen nicht. Ein freundlicher Trotzgruß an die willfährige Hinterherwerf-Bereitschaft der Musikbranche, eine klare Geste gegen die sharebare Verkachelung von Kunst zu tristen Jahresendcharts-Distinktionszwecken.

Wer diese Musik braucht, wird sie auch dann finden, wenn sie sich nicht als nebenbei wegsnackbarer Serviervorschlag aufdrängt. Auch das ist nur konsequent, denn die angenehm abgedunkelten Rastplätze, zu denen uns Stella Sommer in ihren Songs führt, liegen auch nicht kommod erreichbar neben einer Autobahnauffahrt. Aber wer sie findet, dem legt sie – wie in „In My Darkness“ versprochen – eine Zahnbürste bereit und stellt ein paar Flaschen Wein in den Keller. Und sie überreicht einem den Schlüssel in dieses Refugium: Aufschließen muss man es sich dann schon selbst.

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Credit by Gloria de Oliveira

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