„Die Kerzen laufen jetzt im Radio, ich hab’s dir doch gesagt“, singt Felix Keiler, Gitarrist und Sänger der Kerzen gleich im Album-
Opener „Staub zu Staub“. Tatsächlich hatte schon ihr Debüt-Album „True Love“ (2019) der damals noch in Ludwigslust wohnenden Band ein paar veritable Hits zu bieten, die im Radio auf Rotation liefen.
Zu Felix Keiler gehören Jelena Von Eisenhart-Rohe an Gesang und Keyboards,Fabian Rose am Bass und Lucas Wojatschke am Schlagzeug. Vor etwa zwei Jahren, also pünktlich zum Pandemie-Start, zog die Band schließlich um nach Berlin. Und hatte unerwartet viel Zeit, um Stücke für ihr zweites Album „Pferde & Flammen“ zu schreiben, das nun am 27.05.2022 erscheint.
Die fertigen 10 Songs haben sie allerdings nicht in Berlin aufgenommen, sondern in Köln mit dem Produzenten und Kerzen-Fan der ersten Stunde Jochen Naaf. A perfect match: Der Kölner Produzent, der zuletzt mit Bosse oder Giant Rooks in den Charts unterwegs war, und die Die Kerzen haben zusammen eine fantastische Pop-Platte produziert. Ein New-Romantic-Update, das wie die perfekte Melange aus Purple Schulz und den Cocteau Twins klingt. Ja, Die Kerzen sind große Musik- Auskenner*innen und tragen dabei immer den unbedingten Willen zum allgemeinverständlichen Pop-Song im Herzen. Nur logisch also, dass es auch auf diesem Album inhaltlich weiterhin um alle möglichen Spielarten der Liebe und der damit verbundenen Beziehungsgeflechte und Lebenskonstellationen geht.
Eines Lebens zwischen wilden Nächten („Flammen“) und romantischen Zweierbeziehungen („Pferde“). Wo die Kerzen im Song noch die Frage stellen „Willst Du Pferde oder Flammen?“ ist sich die Band in der Formulierung ihres Album-Titels nach ein paar Schnäpsen schnell einig geworden: Pferde & Flammen! Warum sich auf eines bescheiden, wenn man beides haben kann? Dass es nicht immer einfach ist, all das unter einen Hut zu bringen, davon handelt dieses Album, also von nicht weniger als all unseren Begierden und Wünschen und Hoffnungen. Kurz: von großer Popmusik! Mal bittersweet, mal in bester Party- und Geberlaune.
Hörbar sind sie nach wie vor große Fans des Achtziger-Jahre-Pops: Von China Crisis bis The Smiths, von Hall & Oates zu Chris Rea oder Kate Bush. Doch die Aneignung und Transformation ins Hier & Jetzt gelingt ihnen so mühelos und jenseits jeden Retro-Verdachts, dass wir sie hier umstandslos zur vielleicht stilsichersten Popband der Republik der Gegenwart ausrufen möchten. Vermutlich waren sie dies auch schon zuvor, doch Jochen Naaf hat ihre Stärken nochmal konsequent herausgearbeitet: Keilers schwelgend gläsernes Gitarrenspiel, Eisenharts Dream-Wave-Sirenengesang, Roses Jaco-Pastorius-Gedächtnisbass und Wojatschkes Power-Drumming, das immer mindestens so groß wie Tears For Fears klingen will.
Unbedingt herauszustellen ist auch nochmal der besondere Humor der Band, den sie eher mit zeitgenössischen Berliner Künstler*innen wie Fuffifuzzig oder Luis Ake teilen, als mit den großen Wave-Posern der 80er Jahre. Allein wie sie in der Hit-Single „Cabriolet“ die Story vom Diebstahl eines gelben Ford Escort-Cabriolets erzählen, in der ein Pärchen in bester Bonnie & Clyde-Manier durchbrennt, und das im Jahr 2022, in der solche Plots höchstens noch in Serien wie Stranger Things vorkommen, aber ganz sicher nicht im Real Life der GenZ, ist einfach nur herzerwärmende, tanzbare Romcom. Das Real Life findet heutzutage ja ohnehin in der Hauptsache im Swipe-Modus auf dem Smartphone-Display statt. Mit der richtigen Selbstinszenierung zwischen Humana- und Gucci-Look. Und der Selbstvergewisserung vorm Spiegel: „Zu schön um heut allein zu sein“, wie es Die Kerzen so treffend formulieren. Wie gut für uns alle, dass sich diese Band irgendwann am vielleicht unwahrscheinlichsten Pop-Ort des Landes, in Ludwigslust, gefunden hat. Denn die langjährige Freundschaft und die Intimität, die sie in ihrer Musik mit uns allen teilt, macht sie zu etwas ganz Besonderem.
Und wenn dann am Ende des Albums die Protagonist*innen ihre (Fern-)Beziehung mal wieder in den Sand gesetzt haben und den Blutmond, so rot wie das Cover, anheulen, dann schalten wir bequem auf Repeat und lassen uns erneut vom großen Herzschmerz, dem Verschwenden der Jugend, von wilden Nächten und dem Ende der Welt erzählen. Und erinnern uns, dass da doch noch immer ein ganzes gefährliches Leben auf uns wartet. Nix wie hin da! Läuft dann sicher bald auch wieder im Radio.
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