PETER MUFFIN TRIO

PETER MUFFIN TRIO

PETER MUFFIN TRIO

Dass man das noch erleben darf! Als vielleicht erster Pressemensch überhaupt diesen Satz schreiben zu können: „‘Stuttgart 21‘ ist endlich vollendet!“ Und dann ist „Stuttgart 21“ auch noch wahnsinnig gelungen. Underground – ohne unterirdisch zu sein. Tiefschürfend – ohne, dass einem das Grundwasser in die Augen schießt. Mitreißend – aber mit solider Statik … Ok, jetzt reicht es dann auch. Aber wir sind hier nun mal im Presse-Game. Da geht es manchmal reißerisch zu. Da muss man den Headline-bringenden Kalauer vom Kiesboden aufheben und an den Anfang eines Textes wie diesen knallen. Jetzt, wo wir die Aufmerksamkeit haben, gehen wir zum Wesentlichen über. Hier geht es um das Debütalbum vom Peter Muffin Trio: „Stuttgart 21“. Ein Titel, der natürlich knallt. Ein Titel, in dem eine Menge mitschwingt. Ein Titel, über den Sänger und Gitarrist Julian Knoth sagt: „Da geht es um Selbstermächtigung. Der Begriff schwebt so über der Stadt und ist nicht mehr greifbar. Man weiß, wieviel Geld da verpulvert wird. Das alles ist so abstrakt, dass man den Begriff mal wieder erden und auf eine Punkplatte packen muss.“ Bassist, Co-Sängerin und Videokünstlerin Caroline d’Orville und Schlagzeuger Philipp Knoth sagen hingegen beide, sie fänden den Titel „richtig geil und richtig scheiße zugleich“.

Klar. Der Gag ist gut. Die Fallhöhe riesig. Aber das Peter Muffin Trio wird sich nicht sorgen müssen. Denn die Qualität ihres Albums und ihr Standing in der Stuttgarter Musikszene bieten wenig bis gar keine Angriffsfläche. Die drei sind nämlich nicht nur in Stuttgart integre Kunstschaffende, deren Arbeit über das Schwabenländle hinaus wirkt. Julian kennt man natürlich von Die Nerven, wo er Bass spielt, singt und Songs schreibt. Und auch als Peter Muffin, denn unter diesem Namen veröffentlichte Julian 2017 eine von Die-Nerven-Kollege Max Rieger produzierte EP namens „Ich und meine 1000 Freunde“ und Anfang des Jahres die herrliche räudige Bedroom-Krach-EP „Dose Scheisse“. Philipp, zugleich Julians Bruder und Mitbewohner, ist ebenfalls kein Unbekannter in der umtriebigen Stuttgarter Musikszene: Er spielt zum Beispiel in der Band Karies. Caroline d’Orville, kurz Cali, wiederum ist auch Sängerin, Gitarristin und Songwriterin von Zirkel – einer Band, die sie mit Freundinnen der Stuttgarter Kunsthochschule ABK betreibt. Wo Cali studiert und sich einen Namen als Videokünstlerin gemacht hat – was wiederum dazu führte, dass sie für Julian aka Peter Muffin 2017 ein tolles Video zu dessen Single „Hier bleibe ich stehen“ konzipierte, filmte und schnitt. Es kommt also viel Vorgeschichte zusammen beim Peter Muffin Trio – mehr, als das sonst bei Debütalben üblich ist. Was die Sache umso spannender macht, denn die elf Post-Punk-Songs (wobei das Wort ein wenig zu kurz greift) auf „Stuttgart 21“ klingen trotzdem nach dem wilden, ersten Frühling einer Band, die durch schicksalhafte Fügungen zusammengefunden hat – was ebenso stimmt. Julian erklärt die Sachlage so: „Ich verstehe, dass die Sache mit dem Namen Peter Muffin etwas verwirrend ist. Den habe ich damals gewählt, um mir eine Art Teenage Punk Alter Ego zu verschaffen. Die Songs waren anarchischer, punkiger, großmäuliger als ich normalerweise bin. 2015 habe ich dann mit Max als Produzent alleine die EP aufgenommen, die ich dann 2017 veröffentlichte. Da überlegte ich gerade, wie ich das als Band auf die Bühne bringen kann. Daraus wuchs dann über Umwege das Peter Muffin Trio. Und wenn wir Drei als Band zusammen Musik machen, bin ich eher Julian Knoth als Peter Muffin.“ Klingt kompliziert, aber irgendwie auch nicht, wenn Cali hinzufügt: „Diese Energie verteilt sich dann irgendwie auf uns. Wir nennen das im Spaß manchmal Muffin Power.“ Dann lachen die Drei gemeinsam im Interview – weil alle merken, dass sie für einiges, was in ihrer Banddynamik passiert, noch die richtige Worte finden müssen.

Aber bevor wir zur Bandgründungsgeschichte kommen, die man sich nicht besser hätte ausdenken können, sollten wir uns auf die Musik konzentrieren. Denn die zeigt wieder mal das, was Stuttgart mit Bands wie Die Nerven, Karies oder Human Abfall in den letzten Jahren immer wieder bewiesen hat: Dass man dieses Indie- und Punk-Gitarrendings auch zugleich clever, räudig, art-schoolig, AJZ-tauglich und frei von Mackertum hinbekommen kann. Dass es einen Weg gibt, bisweilen geniale Songzeilen zu texten – Stimme und Gesang aber trotzdem als zwei Instrumente unter vielen zu sehen. Dass es Punk gibt, der sich weit über drei Akkorde und drei Liter Bier hinauswagt – ohne diese DNA zu verachten. Der Opener „An allen Tagen“ ist da ein gutes Beispiel. Philipps Schlagzeug und Calis Bass scheinen am Anfang fast mehr Bock auf das frühe Nat King Cole Trio zu haben, während Julian entspannt die Akustikgitarre schrubbt und mit Adlibs von Cali die ersten Zeilen singt: „Ich bin nicht betroffen, denn ich bin nicht betroffen. Und du machst dich so wichtig. So wichtig bist du nicht.“ Kann man das, was jeden Tag in den konservativen Feuilletons, im Supermarkt, bei Facebook und in ARD-Talkshows passiert, lässiger, quasi im Vorbeigehen, dissen? Nö. „Supercool“ hat dann schon eher die fiebrige Energie einer Die-Nerven-Komposition, nimmt sich im Text aber nicht so geheimnisvoll und lässt den juvenilen Humor durchscheinen, den Julian als Peter Muffin auslebt. So bleibt das Album über alle 11 Songs ein wilder Stil-Ritt, der eher durch die Bandcharaktere und ihre Attitüde zusammengehalten wird. „Melancholie“, das sechste Stück, zieht einen zum Beispiel in dunkle Indie-Gefilde, der Bass erinnert fast an die glorreichen The God Machine, im Hintergrund sägt und klagt ein Saxophon im Terry-Edwards-Style, während Julian, wieder mit Cali als Back-up, sinniert: „Was ist Melancholie?“ Ein Song später dann wieder: Bratzender Bass, Philipp in kontrollierter Rage auf den Spuren des Animals aus der „Muppet Show“, Julians Gesang wütend, ruhelos, taumelnd schreiend, die Gitarren überdreht – bis dann nach einer Minute der Song umkippt und plötzlich klingt, als hätte man mit einer Motorsäge die Tonspuren eines Drum’n’Bass-Klassikers zersägt. Dann wieder eine Kursänderung im Anschluss: „Immer im Weg“. Eine Selbstzweifel is in the House-Hymne auf das Imposter-Syndrom, mit schmerzhaft ehrlichen Zeilen: „Ich stand auf der Straße und kannte den Weg. Kannte den Text, und sagte auch, wie er geht. War nur ein Vorwand, war nur ein Trick. So souverän bin ich meistens doch nicht. Immer im Weg. Ich bin immer im Weg…“ Julian gibt zu: „Auf der Platte gibt es einige Texte, die persönlicher sind, als alles, was ich vorher geschrieben habe. Bei Die Nerven schreibe ich ja nicht alleine und da haben wir eine besondere Textsprache, die bewusst vieles im Wagen hält – was ich sehr mag. Aber ich wollte mich mit Peter Muffin immer ein wenig Freischwimmen davon und mit Philipp und Cali an der Seite habe ich jetzt eine tolle, sehr vertraute Arbeitsatmosphäre, wo ich mich das vielleicht auch mehr traue. Außerdem schreibe ich jetzt seit gut zehn Jahren auf deutsch und habe so langsam das Gefühl, ich weiß, was ich da tue. Zwischen der ‚Dose Scheiße‘ und ‚Stuttgart 21‘ gibt es einen großen Bruch textlich, zum einen, weil ich wirklich da im Alter Ego drin bin, zum anderen, weil das Peter Muffin Trio sehr direkt und persönlich sein sollte. Es hat aber eben viel mit Vertrauen zu tun. In das, was man selbst und das, was die andern können.“

Mit dem Wort „Vertrauen“ sind wir nun bei der Geschichte des Trios angelangt, das sich formte, nachdem man es eine Weile mit fünf festen Mitgliedern versucht hatte. Es ist fast rührend, den Dreien zuzuhören, wenn sie von dieser Zeit um 2017 erzählen, in der sie zueinander fanden. Da wäre zum Beispiel die schöne und tatsächlich wahre Legende, dass sie Cali kennenlernten, als sie zu Julian und Philipp auf die Bühne sprang. Das passierte – natürlich – in Stuttgart und zwar beim Nachtsicht Festival. Da standen Julian und Philipp stundenlang mit Kids aus einem Jugendprogramm auf der Bühne, die vor allem Rap-Tracks in petto hatten. Cali wiederum erzählt: „Unsere Bassistin von Zirkel veranstaltet das Festival und ich hatte an dem Tag von Anfang an Lust, irgendwie mit irgendwem Musik zu machen. Ich bin da also hin und habe alle genervt, ob es eine Jam-Session gibt. Und eine Freundin sagte dann so was wie: ‚Nee, aber Julian und Philipp spielen da hinten mit diesem Jugendprojekt, das ist so ähnlich.‘“ Julian erinnert sich mit einem breiten Grinsen: „Ja, und dann hast du mich in der Pause kurz angesprochen – ich war schon völlig durch, konnte aber nicht nein sagen.“ Cali griff sich also Julians Bass, weil der Bass eigentlich das Lieblingsinstrument ihrer Jugend ist und sie spielten drauf los. Philipp meint: „Echt erstaunlich, dass das so gut passte. Ich meine, du hättest ja auch irgendwelchen ekligen Blues-Scheiß spielen können.“ Als dann Julian wenig später eine Liveband für Peter Muffin suchte und eh mal ein wenig über den Tellerrand des ja doch auch dort recht Dude-lastigen Bandpools der Stadt schauen wollte, fragte er Cali. „Schon erstaunlich, ich kannte sie ja trotzdem kaum, aber ich hatte einfach intuitiv ein gutes Gefühl.“ Philipp ergänzt: „Das muss man an der Stelle wirklich mal deutlich sagen: So was funktioniert in Stuttgart wirklich sehr gut. Es gibt auf kleinem Raum viel kreative Energie, auch zwischen punkiger Subkultur und dem Umfeld der Kunsthochschule – da kann man das Glück haben, Menschen wie Cali zu finden.“ Julian stimmt dem zu: Und man ist verbindlicher als zum Beispiel in Berlin, wo es solche Begegnungen auch gibt, aber sich vieles verläuft.“

An dieser Stelle des Gesprächs merkt man aber auch, dass noch ein weiterer Faktor ein große Rolle spielt, wenn es um den Zusammenhalt der Drei geht. Das Vertrauen, das sie so oft betonen, war nämlich genau das, was sie damals brauchten. Cali erzählt: „Ich hatte damals oft das Gefühl, beim Musik- oder Kunstmachen zu verkrampfen. Als wir Drei dann zusammen probten, gelang es mir fast jedes Mal, den Kopf auszuschalten und mich in diese extreme Energie reinfallen zu lassen. Ich bin sonst immer superkritisch mit eigenen Veröffentlichungen – sei es bei der Videokunst oder bei Musik. Und als wir hier zum zweiten Mal ins Studio fuhren für ‚Stuttgart 21‘ gab es Lieder, wo ich noch nicht mal die Bassmelodie fertig hatte – und die beiden meinten nur: ‚Dir fällt schon was ein.‘ War dann auch so.“ Philipp erzählt von ähnlichen Erfahrungen: „2017 war wirklich eine besondere Zeit. Ich habe bei meinem Bruder gemerkt, dass er durch die Arbeit an ‚Fake‘ mit Die Nerven und dem Erwartungsruck haderte und hatte selbst auch so eine zweifelnde Phase, weil ich das Gefühl hatte, nicht richtig Schlagzeug spielen zu können. Wir haben durch Peter Muffin zum ersten Mal seit Jahren wieder zusammen Musik gemacht. Dieses Auf-Genres-Scheißen, Dinge zu vermischen, zu Improvisieren und gemeinsam an das zu glauben, was dabei rauskommt – das hat mich echt weitergebracht. Ich bin jetzt an dem Punkt, an dem ich sagen kann: ‚Fuck, ich bin ein guter Schlagzeuger!‘ Sonst würde es nicht so klingen.“ Julian meint: „Ich war zu ‚Fake‘-Zeiten permanent down und super unsicher in allem, was ich tue. Mit dem Peter Muffin Trio konnte ich mich davon befreien. Wobei ich auch sagen muss, dass die Stimmung bei Die Nerven seitdem ebenfalls voll harmonisch und schön ist. Das hatte sicher auch seinen Anteil daran.“

Die 11 Songs von „Stuttgart 21“ entstanden im Rahmen von zwei Aufenthalten im Bear Cave Studio in Köln mit Nicolas Epe, der zum Beispiel auch die Screenshots und Illegale Farben produziert. Auch hier setzte man auf den gesunden ersten Eindruck und zwischenmenschliche Intuition. Julian erzählt: „Ich habe Nicolas kennengelernt, als er mit den Screenshots bei einem Konzert von uns war. Als wir dann mit dem Trio aufnehmen wollten, fragte ich ihn einfach mal und er schlug vor, wir besuchen ihn unverbindlich im Studio und schauen, wie es läuft. Das war im Herbst 2019 – und danach hatten wir schon fünf Songs fertig. Er war dabei mehr als ein Produzent. Die Art, wie er Ideen entwickelt und seine Skills im elektronischen Bereich einbringt, das war schon besonders. Einmal hat er sogar Bongos angezerrt – da kam ein Sound raus, den ich noch nie gehört habe.“ Philipp ergänzt: „Ja, das war wirklich super mit ihm. Er sagt gar nicht so viel, aber immer das Richtige im richtigen Moment.“ Julians Fazit: „Ohne ihn und seinen Mix wäre ‚Stuttgart 21‘ eine Punkplatte – und jetzt ist es irgendwie mehr. Postpunk? Punk 2.0? Keine Ahnung.“ Und eigentlich auch egal. Weil: gute Platte.

Schlagen wir zum Schluss noch einmal die Brücke zum beschissenen und/oder geilen Albumtitel. Der bekommt nämlich durch den Covershot von David Spaeth noch ein großes Ausrufezeichen. Zum Foto schrieb ihr Label Glitterhouse Recrods im Vorfeld: „Über dubiose Kanäle haben die tatsächlich die Genehmigung bekommen, offiziell im Untergrund der Stuttgart 21 Baustelle aufzunehmen.“ Ein wundervoller Satz, bei dem Philip lachen muss: „Dubios war da nix, aber wir waren wirklich offiziell im Untergrund. Da lief sogar eine Dame von der Öffentlichkeitsarbeit mit – und der Bauabschnittsleiter. Wir haben denen auch gesagt, dass das Album so heißen wird. Die waren erst gelangweilt. Und riefen am nächsten Tag an, um doch mal zu fragen, wie wir das meinen.“ Julian erklärt: „Die wollten halt nicht, dass sie da verarscht werden. Aber das machen wir ja auch nicht. Es ist kein politisches Statement, sondern eines für die Kunstfreiheit. Wir wollen den Begriff eben nicht dem Stadtmarketing überlassen.“ Genau das ist ihnen mit diesen elf Songs gelungen – wer sich drauf einlässt wird bei „Stuttgart 21“ nicht mehr Baugruben, Stadtproteste und Kostenexplosion im Kopf haben, sondern hoffentlich Lieder wie „Wir sehen uns morgen“, „Supercool“, „Melancholie“, „Falsche Richtung SUV“ und die apokalyptische Hassliebeshymne, die auch dem Stadtmarketing gefallen dürfte: „Stuttgart am Meer“.

Daniel Koch

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